Mathias LintlJA, ICH WIL.
Der Kulturmanager Mathias Lintl war Mitbegründer der legendären Veranstaltungshalle "Soulkitchen" auf der Elbinsel. Zu dieser Zeit entwickelte er im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA Hamburg 2006-2013 unterschiedlichste Kulturformate. Noch heute organisiert er Konzerte und andere Events in ganz Deutschland. Mathias Lintl stammt ursprünglich aus Gifhorn in Niedersachsen, kam dann über Lüneburg, wo er angewandte Kulturwissenschaften und Umweltwissenschaften studierte, nach Hamburg. Per Zufall las Mathias Lintl damals eine Zeitungsanzeige für ein Hausboot im Spreehafen. Drei Tage später lebten und arbeiteten er und seine Freunde dort. Mittlerweile sind es 25 Jahre in Wilhelmsburg.

Mathias Lintl im Interview
IBA Hamburg: Was war dein erster Eindruck vom Stadtteil?
Mathias Lintl: Ehrlich gesagt: ziemlich langweilig. Damals stand der Zollzaun des Freihafens direkt vor unserer Nase. Nur bei Hochwasser konnte man über den Deich schauen. Es war fast wie exterritoriales Gebiet – isoliert und wenig belebt. Deshalb haben wir selbst angefangen, Kultur zu schaffen. Einfach, um Lebensqualität zu gewinnen.
IBA Hamburg: Und was hat dich letztlich hier gehalten?
Mathias Lintl: Die Perspektive auf Veränderung. Nach der Zukunftskonferenz Wilhelmsburg 2001/2002 wurde ein Weißbuch erstellt – da wurden Visionen entwickelt, wie die Insel sich verändern könnte. Diese Visionen umgesetzt zu sehen, war für mich Ansporn zu bleiben. Ich habe viele temporäre Orte genutzt, wie die Soulkitchenhalle – ein Ort mit Wohnzimmer-Charakter, den wir mit 30.000 Menschen bespielt haben.

IBA Hamburg: Was macht Wilhelmsburg für dich besonders?
Mathias Lintl: Die Geografie – eine Insel mit klaren Systemgrenzen. Für einen Geografen wie mich hochspannend! Ich hatte sogar die Idee, Wilhelmsburg als Systemmodell umzubauen: Input, Output – wie Strom, Wasser, Abfall. Ein abgeschlossener Mikrokosmos. Und: Wer sich mit der Geschichte beschäftigt, entwickelt einen ganz anderen Bezug zur Insel. Wir haben damals das Buch "Geschichte der Elbinsel Wilhelmsburg" neu aufgelegt – damit die Stadtplaner verstehen, worauf sie bauen.
IBA Hamburg: Wie erlebst du den Wandel im Stadtteil?
Mathias Lintl: Die Veränderung ist sichtbar – viele junge Familien, viele Kinder, besonders im Sanitaspark. Der bauliche Wandel jedoch läuft viel zu langsam. Die ganzen Verzögerungen haben viele Baugemeinschaften zermürbt. Da fehlt es an Zwischenorten, an Orten des Austauschs. Deshalb unser Kultur-LKW – spontan, mobil, gesellig. Eine Art „wandelnde Kaffeeklappe“ für Bauarbeiter und Nachbarn, wo abends auch Musik läuft. Das schafft Emotion und Identifikation.
IBA Hamburg: Warum lebt es sich gut in Wilhelmsburg?
Mathias Lintl: Ich wohne über der Deichdiele – ein Musikcafé mit 50 Konzerten im Jahr. Das ist purer Luxus. In einer Minute bin ich im Grünen, sehe den Hafen, habe Weite. Der Uferpark bei Sturm, die Speicherarchitektur – das ist ästhetisch beeindruckend. Und ich liebe es, mit der Fähre nach Hamburg zu fahren. Mindestens einmal pro Woche. Kein Stress, tolle Aussicht. Das ist für mich urbanes Glück.
IBA Hamburg: Wie würdest du die Menschen hier beschreiben?
Mathias Lintl: Es gibt keine „typischen“ Wilhelmsburger. Die alten Kirchdorfer sind so etwas wie Landadel – oft kulturfaul. Aber Wilhelmsburg ist durchzogen von kleinen Communities: Spanier, Portugiesen, Türken, Italiener – jeder bringt seine Kultur ein. Und die jungen Leute, die in den letzten 15 Jahren gekommen sind, haben das Ganze noch einmal aufgemischt. Die Leute sind lebenslustig, feiern gerne. Ob im Uferpark, spontan mit lauter Musik oder in den vielen Bars im Reiherstiegviertel.
IBA Hamburg: Welche Erwartungen hast du an die neuen Quartiere?
Mathias Lintl: Zunächst, dass endlich passgenauer Wohnraum entsteht. Und dass nicht nur gewohnt, sondern gelebt wird. Cafés, Clubs, kulturelle Orte – das gehört für mich dazu. Ich wünsche mir auch eine Gedenkspur auf der ehemaligen Wilhelmsburger Reichsstraße – ein zehn Meter Asphaltstreifen zur Erinnerung an die Vergangenheit, an die Fahrt des Generalbevollmächtigten der Ostseeflotte zur Kapitulation 1945. Und bitte: endlich eine Entscheidung zur U4! Die Infrastruktur muss mitwachsen.
IBA Hamburg: Und deine Wünsche für Wilhelmsburg insgesamt?
Mathias Lintl: Den Erhalt des Krankenhauses, keine A26 Ost, bessere Verkehrsverbindungen. Und mehr Raum für Kultur!
IBA Hamburg: Zu guter Letzt: Dein Lieblingsort?
Mathias Lintl: Ganz klar: der Uferpark im südlichen Reiherstiegviertel – mein Rückzugsort bei Wind und Sonnenuntergang. Und die Köhlbrandbrücke! Wenn sie gesperrt ist, gehen wir mit Plattenspieler und Schallplatten rauf – nicht ganz hoch, aber weit genug, um Erinnerungen zu hören.